
Reportage: Hospiz – Den Stunden mehr Leben geben
Es ist schon dunkel, als ich mich auf den Weg zum Katharinen-Hospiz am Park mache, und im Januarnieseln ziehe ich mir den Schal enger um den Hals. Als mir zwischen Bäumen und Sträuchern freundliche Lichter entgegenblinken, verheddert sich in meinem Kopf etwas. Sollte ein Hospiz nicht anders wirken? Sich weniger fröhlich anfühlen? Ich erwarte Krankenhausatmosphäre, Leid und Sterilität. Wie falsch ich damit liege, erfahre ich schon bald. Für die neue Moinquadrat-Reportage bin ich heute mit Hospizleitung Claudia Toporski verabredet.
Am Eingang werde ich freundlich von der hauptamtlichen Mitarbeiterin Christine Molter empfangen. Sie führt mich herum, und ich staune über das wohnliche Ambiente. Ein kleiner Rundgang offenbart mir die anheimelnde Eingangshalle, einen gemütlichen Seminarraum mit Regalen voller Bücher, einen Andachtsraum, ein großes, liebevoll hergerichtetes Bad und einen Trakt mit Büroräumen.
Ich stolpere im Vorbeigehen über die Zimmernamen: Nicht Ziffern zieren die Türen, sondern Namen – „Rosenzimmer“, „Gartenzimmer“ und „Rhododendronzimmer“, lese ich. Wir passieren ein Regal mit Playmobil und etwas in mir zieht sich zusammen. „Das sind ja Spielsachen“, bemerke ich lahm.
„Natürlich“, entgegnet Frau Molter mit einem Lächeln. „Kinder sind hier immer willkommen, und wir wollen auf keinen Fall eine Atmosphäre, in der man nicht laut sein und herumtoben darf. Manchmal kommen auch Hunde mit. Humor und Freude sind bei uns ganz wichtig.“
Sterben als Teil des Lebens
Sterben als Teil des Lebens zu sehen; das scheint die Philosophie zu sein, nach der hier gearbeitet (und gelebt) wird. Aber wie geht man als Mitarbeiter überhaupt damit um? Wie kommt man dazu, sich gerade diesen Arbeitsplatz auszusuchen? Und wie genau darf ich mir die Hospizarbeit nun eigentlich vorstellen? Ich bin gespannt, als wir der Leitung Claudia Toporski begegnen.
„Noch vor 30 Jahren war der Umgang mit sterbenden Menschen ganz anders“, erklärt sie, als wir ins Gespräch kommen. „Patienten wurden zum Sterben ins Stationsbad oder sonstige Nebenräume geschoben. Allein gelassen. Sterben war nicht ‚gesellschaftsfähig‘. Doch hier hat sich durch großes Bürger-Engagement, eben die Hospizbewegung, viel in den Denkweisen verändert.“
Ich erfahre, dass das Katharinen-Hospiz am Park, das dieses Jahr 25-jähriges Jubiläum feiert, gar kein stationäres Hospiz ist – sondern quasi eine ausgelagerte Palliativstation für schwerstkranke Menschen und ihre Angehörigen, die ebenfalls unterstützt und begleitet werden.

Kein starrer Tagesablauf
Der jeweilige Tagesablauf wird ganz und gar an die Bedürfnisse und Möglichkeiten, d. h. die Tagesform der Betroffenen, angeglichen: „Einen starren Plan gibt es hier nicht, und auch keine allübergreifend-feste Allgemeinversorgung. Wir schauen jeden Tag aufs Neue, was die Menschen brauchen und sich wünschen.“
Bei einer Stabilisierung ihres Zustandes können die Patienten, sofern Familie und Freunde die Versorgung zuhause gewährleisten, durchaus wieder in die Häuslichkeit entlassen werden. Ist eine Versorgung dort aber nicht möglich, finden Familiengespräche statt.
Da wird dann darüber gesprochen, wo die weitere Versorgung stattfinden kann. Wichtig sei dabei oft die Region, in der die Familien leben: „So können wir dann z. B. ins stationäre Hospiz verlegen; bei anderen notwendigen Behandlungen aber auch ins Krankenhaus oder eine Altenpflegeeinrichtung“, führt Toporski aus.
Hospiz ist nicht gleich Hospiz
Die Arbeit des Hospizes geht aber weit über die vorhandenen vier Wände und sechs Betten des Hauses hinaus. In unserem Gespräch erfahre ich, dass unter dem Dach eines Hospizes oft weitere Bereiche tätig sind:
Ambulante Hospiz- und Palliativ-Beratungsdienste (AHPB), die Erstbesuche und Beratung durch Palliative Care-Fachkräfte anbieten; Koordinationsstellen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV); oder auch ambulante Kinder- und Jugendhospizdienste, die trauernden Kindern helfen.
In der Kindergarten- und Schularbeit arbeiten dann noch KollegInnen, die Projekte in Schulklassen und Kindergärten, aber auch Schulungen für Pädagogen durchführen. Für Lehrkräfte ist es ja unumgänglich, zu wissen, wie man ein Kind oder einen Jugendlichen unterstützen kann, dessen Angehöriger erkrankt ist oder sogar im Sterben liegt.
Es finden auch Trauergruppen und Einzelgespräche für Kinder statt: Dafür gibt es im Hospiz am Park auch liebevoll eingerichtete Räumlichkeiten, die ich später gezeigt bekomme – das Tom-Christiansen-Haus, vollgestopft mit Spielsachen und Bastelutensilien, Kissen, Decken und bunten Werken der Kleinen.
Das Team, das diesen Berg an Aufgaben und menschlicher Zuwendung wuppt, setzt sich aus speziell geschulten Pflegefachkräften, Ärzten, Seelsorgern, Diplomsozialpädagogen, Erziehern und Therapeuten zusammen. So gibt es auch Physio-, Musik- und Kunsttherapieangebote. Ergänzt wird diese Vielfalt von ehrenamtlichen Mitarbeitern, die das Hospiz in ihrer Freizeit tatkräftig unterstützen.
Liebe zu den Menschen als Einstellungskriterium
Die Aufgaben sind in jeder der beschäftigten Berufsgruppen vielfältig, aber man müsse „mit Liebe zu den Menschen dabei sein“, sagt Claudia Toporski. „Ob dieser Arbeitsbereich der Richtige ist, kann man nicht immer gleich beurteilen. Man sollte sich mit dem Thema Sterben, Tod und Trauer schon irgendwann einmal beschäftigt haben. Was bedeutet Distanz und Nähe für mich? Was Mitleid? Ein würdevoller Umgang mit dem Sterben – was heißt das für mich?“
Ganz entgegen der ja eher auf ältere Patienten deutenden allgemeinen Sterbestatistik berichtet sie auch von ganz jungen HospizbewohnerInnne, von erkrankten Familienvätern oder Müttern und deren Kindern, die aufgenommen werden. „Das berührt dann natürlich alle hier.“
Hier kommt neben den wiederkehrenden Fortbildungen dann spätestens auch die Supervision ins Spiel, zu der ehren- wie hauptamtliche Mitarbeiter in regelmäßigen Abständen verpflichtet sind.
„Supervision ist eine Beratungsform für Mitarbeiter besonders in psychosozialen Bereichen, die sie bei ihrem beruflichen Handeln begleitet und eine Plattform für Reflexion und Austausch bietet. Bei uns ist dieses Instrument essenziell für die tägliche Arbeit.“
– Claudia Toporski, Leitung des Katharinen-Hospizes am Park
Ein Haus, in dem gelebt wird
Im Katharinen-Hospiz am Park soll jeder seinen ganz persönlichen Weg in der Erkrankung und im Sterben gehen. „Das hier ist ein Haus, in dem gelebt wird wie in jedem anderen“, sagt Toporski. „Da gibt es auch viele Höhepunkte: Ob das nun die hierher verlegte Taufe des ersten Enkelkindes ist oder eine Silberhochzeit, unsere vielen Feste …“
Und wenn ein Patient gestorben ist, dann gibt es vertraute Rituale: Eine Kerze brennt dann im Eingangsbereich, als sichtbares Zeichen, dass jemand seinen Weg gegangen ist. Aussegnungsrunden werden mit Hilfe der beiden Seelsorgerinnen durchgeführt.
Die Hinterbliebenen können sich dabei am Bett verabschieden. In anschließender Runde, oft mit Kaffee, sei man nicht nur traurig über den Verlust – man erinnere sich auch an die schönen Zeiten, an humorvolle Erlebnisse. Manche Familien singen und musizieren zusammen.
„So bekommt die Trauer eine gewisse Leichtigkeit.“
– Claudia Toporski, Leitung des Katharinen-Hospizes am Park
Wer hier arbeitet, lebt bewusster
Berührend finde ich auch die Geschichte von drei 8-jährigen Jungen. Ihr Klassenkamerad hatte seinen Vater verloren. Sie verkauften im Winter selbstgebackene Plätzchen in ihrer Straße, um Spenden fürs Hospiz zu sammeln, und überreichten Frau Toporski das gesammelte Geld stolz. Eine tolle Geste, da sich die Einrichtung ja zum Großteil aus Spenden finanziert und fast alle Angebote für die Betroffenen kostenlos sind.
Auch zwei Brüder, deren Mutter schon vor langer Zeit im Hospiz versorgt wurde, halten der Institution die Treue. Sie bringen jedes Jahr zu Weihnachten Marzipanherzen und sich erweiternde Familienfotos vorbei. „Solche Momente haben erleben wir hier häufiger und sie bewegen uns natürlich auch.“
Ob die Arbeit im Katharinen-Hospiz am Park sie verändert habe, will ich am Ende von Frau Molter, die seit 2016 am Hospiz tätig ist, wissen? Sie überlegt und nickt. „Man lebt jetzt schon irgendwie bewusster. Weil man weiß, dass es jeden Tag zu Ende sein kann. Wenn du Lust hast, zu reisen, dann nimm dir eben die paar Tage frei und buch den Flug in die Staaten. Sprich aus, was du für jemanden empfindest.“
Als ehemalige Rettungsassistentin ist ihr der Tod nicht fremd, doch empfindet sie die Atmosphäre hier im Hospiz als ganz anders. Würdevoller. „Ich denke da immer an dieses Zitat von Cicely Saunders: ‚Wir können dem Leben nicht mehr Stunden geben. Aber den Stunden auf jeden Fall mehr Leben‛.“ Ich bin berührt und gehe ziemlich nachdenklich nachhause.
Erschienen in der MOINQUADRAT, 2017
Mehr zur Hospizbewegung findest du auf der Website des Deutschen Hospiz- und Palliativ-Verbands e. V.
Eine andere Moinquadrat-Reportage führte mich an einen ähnlich bewegenden Ort: Das Flensburger Frauenhaus.

