Interview: So schwer ist das gar nicht! Jessica Wilhelmsens Weg vom Bürostuhl auf die Baustelle
Mörtel anrühren und Wände verputzen, 25-Kilo-Säcke schleppen und am Feierabend von Staub und Schweiß bedeckt sein: Was bringt eine junge Frau dazu, ihren Bürojob hinter sich zu lassen und eine Ausbildung zur Maurerin anzufangen? Wir haben nachgefragt – bei der Flensburgerin Jessica Wilhelmsen (26), die diesen Schritt im August 2023 gewagt hat. Und dafür einige Hindernisse überwinden musste.
„Ich war nicht unzufrieden an meinem alten Arbeitsplatz“, sagt die gelernte Automobilkauffrau im Interview. „Ich hatte ein wunderbares Team und ein gutes Gehalt. Aber da war diese Angst in mir: Was, wenn dich der Büro-Job mit 40 nicht mehr glücklich macht? Wenn du die Chance zum Absprung verpasst?“
Schwere Entscheidungsphase – Maurerin werden oder nicht?
Wilhelmsen beginnt, sich schlau zu machen. Alternative Berufe, die für sie infrage kommen, sind Anlagentechnikerin, Dachdeckerin und Maurerin.
Die Ausbildung zur Maurerin macht am Ende das Rennen. Auch, weil Wilhelmsen hier viel Inspiration im Netz findet: „Da gibt es z.B. die Maurermeisterin Julia Schäfer. Sie wirbt in den sozialen Medien dafür, dass auch Frauen diesen Beruf machen können.“
Einfach fiel Wilhelmsen die Entscheidung trotzdem nicht. Nicht nur die finanziellen, auch die körperlichen Herausforderungen machten ihr zu schaffen.
Und ihre Familie reagierte besorgt: „Meine Großeltern konnten nicht begreifen, warum ich nochmal neu anfangen will. Ihrer Meinung nach stand ich als Sachbearbeiterin in der Personalvermittlung doch schon mitten im Leben.“
„Dann müssen wir ja ein Extra-Klo aufstellen“
Von ihrem Plan ließ sie sich trotzdem nicht abbringen. Nicht einmal, als die Absagen auf ihre über 20 Bewerbungen hereinflatterten.
„Teils warte ich bis heute auf Rückmeldung, teils bekam ich zu hören, dass meine künftigen Arbeitgeber dann ja ein Extra-Damen-WC aufstellen müssten. Und eine Firma sagte sogar ganz klar, dass der Chef keine Frau auf dem Bau haben will.“ Ein herber Rückschlag für Wilhelmsen, die zu dem Zeitpunkt schon Feuer und Flamme für ihrem Plan war.
Ihre letzte Bewerbung geht an die Carstensen Bauunternehmen GmbH, ein Flensburger Traditionsbetrieb, der Sparten wie Hoch- und Tiefbau, Zimmerei und Sanierung bedient. „Nur eine Stunde später kam der Anruf: Sie wollten mich kennenlernen“, strahlt die 26-Jährige, der es wichtig war, ihren alten Job sauber abzuschließen.
Die Hände schmutzig machen
Jetzt ist sie mittendrin: Am 01.08. hat die Ausbildung begonnen. Die dauert im Maurergewerk drei Jahre und endet mit der Gesellenprüfung. Theorie- und Praxisphasen wechseln sich ab. Das Mauern und Betonieren von Fundamenten, Decken und Wänden gehört genauso zu den Inhalten wie das Vorbereiten von Untergründen und Verbauen von Fertigteilen.
Wilhelmsen wird von Anfang an viel zugetraut. Bei einer Strangsanierung in der Schützenkuhle hat sie – unter Aufsicht eines Altgesellen, der ihr rasch eigenständige Aufgaben zuwies – schon selbst betoniert und verputzt. Ihren ersten „Schlepptag“ hat sie ebenfalls hinter sich: Mit zwei Arbeitskollegen trug sie 5t Material von A nach B – in 25-Kilo-Säcken. „Da brauch ich dann abends ein ordentliches Abendessen“, lacht sie. „Das Fitnessstudio kann ich mir sparen.“
Rauer Ton
Einer der Geschäftsführer der Carstensen GmbH besucht sie täglich, um ihre Fortschritte zu überprüfen. „Bis jetzt sind alle freundlich und respektvoll zu mir, viele staunen über meine Motivation. Natürlich muss man sich an den Ton auf dem Bau gewöhnen. Da geht es schon rauer zu als im Büro.“
Ein einzelner Kollege zweifelte daran, ob sie als Frau die Ausbildung durchzieht. Das löst bei Wilhelmsen Reaktanz aus: „Bei solchen Kommentaren denk ich nur: Jetzt erst recht.“ Am Ende fange doch jede*r klein an: Der 16-Jährige, der die Ausbildung gleich nach der Schule beginnt genauso wie sie jetzt.
Alles im Lot
Ihre Bilanz? „Meinen Bürojob vermisse ich überhaupt nicht. Da hatte ich am Ende immer Rückenschmerzen vom Sitzen. Jetzt kann ich mit meinen Händen arbeiten, draußen sein, bin immer unterwegs – jeder Tag ist anders. Ich liebe diese Abwechslung, und dass du am Ende des Tages siehst, was du geschafft hast.“
Wilhelmsens Traum ist es, nach der Ausbildung die Meisterprüfung zu machen und selbstständig zu arbeiten. Am liebsten will sie auch andere Frauen inspirieren, den Weg ins Handwerk zu wählen. Was sie jemandem raten würde, der in einer ähnlichen Entscheidungsphase steckt? Wilhelmsen rührt in ihrem Latte Macchiato und lächelt. „Hab keine Angst. Es ist nicht so schwer, wie du denkst.“