Essay: Let’s write about sex, baby!
Warum Sex in Fantasyromanen so oft in die Hose geht
Sie sind die Endgegner für viele Schriftsteller*innen, auch in der Fantasy: Nicht epische Schlachten mit Hunderten von Beteiligten, nicht atemberaubende Kampfszenen oder Verfolgungsjagden, nein, ganz banal – Sexszenen. Was als anregend gedacht (und geschrieben) wird, bewirkt bei den Leser*innen nicht selten Kopfschütteln, Belustigung oder heftiges Fremdschämen. Aber was macht guten bzw. schlechten Sex in Romanen eigentlich aus? Und wieso ist es nur so schwer, gute Sexszenen zu schreiben? Eine mindestens halb ernstgemeinte Erörterung. Mit vielen seltsamen Vorspielen. Äh, Beispielen.
Sex ist ein Bestandteil vieler Romane. Nicht nur in der Fantasy. Sobald zwei Charaktere sich nahekommen, ob rein körperlich oder auch noch auf romantische Art, läuft das altbekannte Kribbeln im Bauch häufig geradezu unausweichlich auf “den Akt” hinaus.
Darauf kann in manchen Romanen sogar der Hauptfokus liegen – mit allen schlüpfrigen und manchmal merkwürdigen Details.
Andere Autor*innen beschränken sich darauf, das aufregende Geschehen nur anzudeuten und den Rest der blühenden Fantasie ihrer dann hoffentlich ungestörten Leser*innen zu überlassen.
Manchmal die bessere Variante. Zumindest, wenn man sich ansieht, was beim Schreiben einer Sexszene alles schiefgehen kann.
Die irische Autorin Mary Costello schreibt in The River Capture zum Beispiel:
“And she begged him to go deeper and, no longer afraid of injuring her, he went deep in mind and body, among crowded organ cavities, past the contours of her lungs and liver, and shimmying past her heart, he felt her perfection.”
Frei übersetzt:
“Und sie bettelte ihn an, noch tiefer in sie einzudringen. Nicht länger befürchtend, dass er ihr wehtun könnte, tauchte er sowohl in ihren Geist als auch ihren Körper tief ein, zwischen überfüllten Organhöhlen hindurch, an den Konturen ihrer Lunge und Leber vorbei; und als er an ihrem Herz vorbeiglitt, fühlte er, dass sie perfekt war.”
Die Goldene Himbeere für Miesen Sex
Das genannte Beispiel hat für seine, nun, ungewöhnliche Darstellung sexueller Ereignisse sogar einen Preis gewonnen: Den Bad Sex in Fiction Award, den die britische Zeitschrift Literary Review seit 1993 jährlich vergibt.
Ähnlich wie die Goldene Himbeere in der Filmbranche prämiert diese Auszeichnung unfreiwillig komische Sexszenen in der Literatur.
Die Schöpfer des Preises geben an, dass sie mit dem Award aufzeigen wollen, “wie geschmacklos, merkwürdig und oft auch überflüssig Sexszenen in der Literatur sein können”. Damit das in Zukunft seltener passiert. Denn leider sind Kuriositäten wie Costellos Organtiefbohrung kein Einzelfall.
Analog zum Bad Sex in Fiction Award gibt es seit 2021 aber auch einen entsprechenden Preis für phantastische Romane. Den Bad Sex in Fantasy Award. Vergeben durch wechselnde Jurys. Kurz: Das Goldene Glied.
Kommen wir hier der Antwort auf die Frage, was schlechten Sex in Fantasy-Romanen ausmacht, näher? Wenn man sich die Kategorien ansieht, in denen Das Goldene Glied verliehen wird, schon. Es sind:
- Situation (= die unpassendste Situation, um Sex zu haben)
- Vergleich (= der absurdeste Vergleich im Rahmen einer Sexszene)
- Vorspiel (= das schlechteste Vorspiel)
- Anatomie (= die seltsamsten anatomische Beschreibungen von beteiligten Körperregionen)
- Selbstständige Körperteile (= eine Unterkategorie der Anatomie-Rubrik, in der sich Körperteile merkwürdig verhalten)
So schrieb sich die 2021-Preisträgerin Nicole van Wall mit ihrem Roman Die Flüsse von Berlin erfolgreich in die Kategorie der Selbstständigen Körperteile:
“Ihre Brüste bebten und schrieben mit den Knospen ihre Erregung in die Luft und ihr Körper drückte sich ihm wie ein gespannter Bogen entgegen. […] Sie nickte und sein Schwert zuckte animalisch in ihre feuchte Lustgrotte vor.”
In Hadmar von Wiesers berüchtigtem Werk Dämonenmeister wurde im selben Jahr die folgende Szene für die Kategorie Vergleich prämiert:
“Inmitten des dunklen Pelzes blühten die Rosenblätter ihrer Lust. […] Instinktiv umklammerten mich ihre reiterprobten Oberschenkel. […] Es war, als ob Heilgard mich mit jeder Welle der Lust, die ich ihr bereitete, in ihren Körper hineinziehen wollte. Dann bäumte sie sich auf, mit einem Schrei, der kurz das Tosen des Wasserfalls übertönte. Wir wanden uns wie kämpfende Lachse.”
Bisher nicht prämiert, aber aus unserer Sicht wie geschaffen für die Kategorie Anatomie scheint dagegen ein Ausschnitt aus Christopher Abendroths Sci-Fi-Novelle Der salzige Geschmack unserer Freiheit (hier von mir rezensiert):
“Also verlegte er sich darauf, seine Nase in langsam enger werdenden Spiralen ihre Brust empor wandern zu lassen, während er seine Hand auf ihre andere legte. Als er endlich das Ziel erreichte, war ihre Knospe eine in seinen Lungen aufwallende Verlockung, der er willig nachgab.”
Von den Realismus-Unfällen, bei denen unerfahrene Jungfrauen (egal welchen Geschlechts, aber es gibt in der Fantasy durchaus eine fragwürdige Fixierung auf weibliche Jungfräulichkeit) bewusstseinssprengende Orgasmen erleben, wollen wir gar nicht erst anfangen.
Die seltsamste Nebensache der Welt
Sex in Fantasyromanen artet also unbeabsichtigt oft in Kitsch, Klischee und Komik aus. Manchmal bleibt einem das Lachen aber auch im Halse stecken und man möchte das Buch einfach nur zuklappen und sich schütteln.
So ist zum Beispiel Sex mit anderen Spezies an und für sich in der Fantasy ja nichts völlig Ungewöhnliches. Da werden flauschige Tiermenschen vernascht; verführerische Dämonen fallen über willig-wehrlose Menschen her und unsterbliche Elben verlieben sich in charismatische Waldläufer.
Aber was Ilka Tampke in Skin – Das Lied der Kendra (hier von meiner Kollegin Nadine Kaiser rezensiert) unterbringt, lässt dann doch stutzig werden.
“Im dunklen Wasser konnte ich ihn nicht sehen, aber ich spürte die Bewegung, die er in der Strömung erzeugte, […], bis seine rauen Schuppen meine Brust streiften. […] Als er sich dann in mich hineingrub und sich in die Dunkelheit meines Körpers schlängelte, brach die Gewalt, mit der ich mich […] sehnte, auf, und ich verlor mich in einem so heftigen Schauder des Begehrens, dass meine Beine nachgaben und ich vollkommen unter Wasser sank. Der Fisch machte so lange weiter, bis ich vor Erlösung zuckend das Gefühl bekam, nie wieder atmen zu müssen.”
Sex? Ja bitte! Sexismus? NOPE!
Ein Fisch? Ernsthaft? Das setzt auf Hadmar von Wiesers kämpfende Lachse noch eine Schuppe drauf. Äh, Schippe. Gut, kann man wohlwollend vielleicht noch lustig finden. Aber wirklich irritierend wird es, wenn wir uns anschauen, welche Rolle der Male Gaze in der Fantasy-Literatur spielt.
Male Gaze, das meint die männlich-heterosexuelle Perspektive in Literatur und Filmkunst, die Frauen als hübsch anzusehende (Sex-) Objekte ohne nennenswerte eigene Intentionen und Ziele darstellt.
In mittelalterlich geprägten Fantasy-Welten (und nicht nur dort) immer noch gern genutzt. Großartig bringt das Judith Vogt in ihrem sehr lesenswerten Essay 50 Shades of Bollocks auf den Punkt:
“Frauenbrüste, Frauenkurven und Frauenkörper wissen dem Protagonisten zu gefallen oder auch nicht, Brüste sind klein und fest, Nippel sind spitz und rund, Kleider enthüllen mehr, als sie verbergen, und ansprechende Kurven kämpfen gegen die Schnüre der Mieder an.”
Frauen stehen in der Fantasy-Literatur also immer zur Verfügung. Sie werden (ungestraft!) begafft, betatscht und, wenn möglich, verführt. Dabei sind sie es selten selbst, die den Sex initiieren – vielmehr wird ihre Sexualität in Fantasyromanen oft erst durch den männlichen Protagonisten “erweckt” und gelenkt.
Wer sich jetzt immer noch nichts unter dem Male Gaze in der Fantasyliteratur vorstellen kann, dem sei das Werk des Autors Harald Evers ans Herz gelegt. Obwohl er großartige Welten erschafft und Abenteuer strickt, in die es sich als Leser*in definitiv abzutauchen lohnt, schimmert die besagte Perspektive überall hervor. Ein Beispiel aus seinem Höhlenwelt-Band Leandras Schwur:
“Es war Janina gewesen, die einen regelrechten Aufstand angezettelt hatte, als sie einmal von einem dieser Kerle angefasst worden war. Sie war damals zu ihrem Vater, danach zum Bürgermeister und zuletzt zum Garnisonskommandanten gelaufen. Sie hatte die anderen Mädchen aufgestachelt und ein Geschrei gemacht, dass man denken mochte, jemand hätte sie zu vergewaltigen versucht. Nein, es war nur ein einfacher, kleiner Klaps auf den Hintern gewesen. Ein anderes Mädchen, das dabei gewesen war, hatte es bestätigt.”
Na, dann ist ja alles in Ordnung. Oder nicht? Noch besser wird’s im Siebten Buch der Schatten (Das Amulett), wo eine weibliche Figur aus tiefem Schlaf erwacht und dann ihrem Pfleger gegenübersteht (ja, das ist leider immer noch Harald Evers):
“Mit vor Entsetzen geweiteten Augen sah sie ihn an.
‘Ich … ich bin ganz nackt in meinem Schoß.’
Marosh schluckte.
‘Oh. War dir das nicht recht? […] Ich meine, ich musste dich doch waschen! Außerdem … alle Mädchen tun das doch, oder? […] Ich hätte dich immerzu nur ansehen können, hab dich gewaschen und gepflegt und ich wollte, dass du so schön aussiehst, wie es nur irgend geht. Deswegen hab ich dich …’ Er deutete in Richtung ihres Schoßes. ‘Und dann irgendwann hab ich dich geküsst. Weil du so wunderschön bist.’
Marie stieß ein Stöhnen aus. Diese ganze Angelegenheit war einfach ein Unding, eine bodenlose Frechheit, eine Gemeinheit und fast eine Vergewaltigung … Aber irgendwie doch zauberhaft.”
Zauberhaft. Ja. Richtig schön. Den Exkurs in die Rape Fiction, also die idealisierte Darstellung missbräuchlicher Ereignisse in fiktiven Beziehungen, sparen wir uns jetzt mal.
Das Schlimme ist ja: Uns fallen diese Dinge oft gar nicht auf, weil wir es so gewohnt sind, dass Medien Frauen und Frauenkörper auf diese Weise darstellen. Dreht man das Ganze aber einmal um und beschreibt Männer so, gleitet es rasch ins Absurde ab.
Aber wir schweifen ab. Ist doch ohnehin alles nur ausgedacht, oder? Warum also aufregen? Die Fantasy-Autorin Elea Brandt (“Opfermond”, “Mutterschoß”) sieht das anders:
“Auch Autor*innen fiktionaler Texte haben eine Verantwortung. Die Ausrede ‘Das ist doch Fantasy/reine Fiktion, das muss man nicht ernst nehmen’ zählt nicht. Jedes Medium übt Einfluss auf die Leser aus. Vor allem dann, wenn bewusst Identifikationsfiguren geschaffen werden, die (junge) Menschen für sich adaptieren. Diesen Fakt zu ignorieren ist fahrlässig.”
Antiklimaktisch
Und damit zurück zu unserer Ausgangsfrage. Warum ist es so schwer, eine gelungene Sexszene zu schreiben, die nicht in die beschriebenen Fallen tappt?
Tatsächlich ist das Ganze deshalb so kompliziert, weil “guter Sex” etwas Subjektives ist. Ähnlich wie bei Humor können zwei Menschen ein und dieselbe Szene fantastisch oder absolut geschmacklos finden. Hier hapert es oft allein schon am Vokabular.
Welche Wörter benutzen wir für die besagten Körperteile und die Handlungen? Hier das richtige Maß zu finden zwischen zu kitschig, zu vulgär und zu medizinisch, kann herausfordern. (Tut es ja auch im zwischenmenschlichen Alltag, wenn wir mal ehrlich sind, oder?)
Dass manche Autor*innen da den Weg der Vermeidung wählen und am Ende einfach ab- und ausblenden, wenn es spannend wird, ist nur zu verständlich. Und muss auch gar nicht schlecht sein! Ein User in einem Forum schreibt zu der Frage, wie detailliert Sexszenen in Büchern sein sollten:
“Mir gefällt es, wenn Sex angedeutet wird, man den Protagonisten aber ihre Privatsphäre lässt.”
Und auch die bereits zitierte Elea Brandt meint hierzu:
“Nichts Genaues zu wissen, kann […] anregend sein oder Spannung erzeugen, schließlich ist unser Kopfkino häufig kreativer als das, was aufs Papier gebannt wird.”
Aber: Den ein oder anderen Leser wird man mit diesem Vorgehen auch verprellen. Denn wenn sich zwischen zwei Charakteren über einen langen Zeitraum hinweg kitzelnde erotische Spannung aufbaut, kann es enttäuschen, wenn man den “Höhepunkt” gar nicht zu sehen bekommt. Also doch ausschreiben. Aber wie?
Neugierig auf den Höhepunkt dieses Artikels? 😉 Lies ihn hier zu Ende!