Artikel-Serie: Intuitiv essen 2/4. Wie wir wieder auf unseren Körper hören
Intuitiv Essen bedeutet, sich auf die Weisheit des Körpers zurückzubesinnen. Gar nicht so einfach in einer Zeit, in der uns Signale aus unserem Umfeld, aus Medien und Gesellschaft permanent davon abhalten wollen. Wie es klappt und was wir uns davon erhoffen dürfen, habe ich im Jahr 2022 im Fitness-Magazin SHAPE erklärt. In diesem Teil der Reihe sehen wir uns die ersten beiden Prinzipien der Intuitiven Ernährung näher an.
Prinzip Nr. 1 – „Legen Sie die Diätmentalität ab“
Einer der wichtigsten Grundsätze des intuitiven Essens ist es, ganz unabhängig von Gewicht und Kleidergröße, eine gesunde Beziehung zu unserem Körper und seinen Signalen sowie dem Thema Ernährung aufzubauen. Das haben wir mit wiederholten Diätversuchen oft „ausgeknockt“.
Rigide Vorschriften, wann, wie und was (nicht) zu essen ist, werden auf wissenschaftlicher Ebene mit vielen Nachteilen in Verbindung gebracht.
So stehen Diäten in Verdacht, zu einer Häufung von Essanfällen zu führen (besonders in Bezug auf die „verbotenen“ Lebensmittel), die Wahrnehmung unserer natürlichen Sättigungsgrenzen zu erschweren, das Risiko von Essstörungen zu erhöhen und (wer hätte das gedacht) Stress und Probleme mit dem Selbstwertgefühl zu verursachen. Höchste Zeit also, der Diätmentalität den Kampf anzusagen!
Intuitiv essen – Wie geht das?
Indem wir uns zunächst einmal bewusst darüber werden, in welchen Situationen das Diätdenken unser (Ess-)Verhalten bestimmt.
Zählen wir Kalorien und versuchen, ein bestimmtes Tageslimit nie zu überschreiten? Wählen wir Sportarten danach aus, wieviel Fett sie verbrennen? Gibt es Lebensmittelgruppen, die wir ganz meiden – etwa zuckerhaltige Speisen? Wiegen wir uns regelmäßig? Beschäftigen wir uns in unserer Freizeit damit, wie das Abnehmen endlich klappen kann?
Das zu erkennen, ist ein erster Schritt, um aus dem gedanklichen Gefängnis auszubrechen. Anschließend kann es helfen, sich die verwendeten Diät-Werkzeuge eins nach dem anderen vorzuknöpfen und zu überlegen, was wir tun können, um sie loszulassen.
Veränderung braucht Zeit
Wichtig ist, dass wir uns beim Erlernen (nicht nur dieses) Prinzips Zeit lassen. Selbst wenn unser Kopf schon „Ja, grundsätzlich verstehe ich das“ sagt, muss das noch lange nicht heißen, dass es uns im Alltag auf Anhieb gelingt, die destruktiven Gedanken und Verhaltensweisen immer auszuschalten.
Je länger sie uns begleitet haben, desto länger dauert es auch, sie loszulassen. Es ist gut, wenn wir in unserem eigenen Tempo (und das heißt oft: in ganz kleinen Schritten) vorgehen und nicht zu streng mit uns sind.
Prinzip Nr. 2 – „Honorieren Sie Ihren Hunger“
Essen – das ist eins der grundlegendsten Bedürfnisse. Unserem Körper Nahrung zu versagen, wenn er danach verlangt, heißt, dass wir eine ganze Lawine biologischer Mechanismen lostreten, die versuchen, den Energiehaushalt wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Zum Beispiel wird das Verlangen nach Nahrung dann oft stärker und der Hunger zeigt sich in seinen unterschiedlichsten Facetten: Unsere Gedanken kreisen nur noch um den nächsten Snack, die Konzentration sinkt und wir reagieren gereizt auf Mitmenschen (Diagnose? Hangry). Die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns bei der nächsten Mahlzeit überessen, steigt obendrein.
Wenn wir aber lernen, zu essen, sobald unser Körper die ersten Hungersignale sendet (und nicht erst, wenn wir alles inhalieren würden, was der Kühlschrank hergibt), d. h., wenn wir intuitiv essen, reduzieren wir das Risiko, in eine Mangelsituation zu kommen und bremsen gleichzeitig emotionale Essattacken aus, weil wir hinterfragen, ob unser Körper jetzt wirklich Nahrung braucht.
Manchmal ist es nämlich auch die Seele, die möchte, dass wir uns etwas Gutes tun, indem wir uns mit Kopfsprung in die cremige Pasta stürzen. Und manchmal ist das auch absolut in Ordnung so.
Ein Hungertagebuch führen
Hier kann es helfen, den eigenen Hunger für einige Tage zu beobachten und sich vor jedem Essen zu fragen: Nehmen wir gerade echte, körperliche Hungersignale wahr? Werden diese nach und nach
stärker? Wäre es möglich, den Hunger durch verschiedene Lebensmittel zu stillen?
Appetit, bei Resch und Tribole auch als „Geisthunger“ bezeichnet, äußert sich im Gegensatz zum echten Hunger nicht auf körperlicher Ebene. Er taucht plötzlich auf und bezieht sich meist auf spezifische Speisen.
Hier zu üben, dem „Geisthunger“ die kalte Schulter zu zeigen und meistens (nicht: immer) nur noch bei körperlichem Hunger zum Essen zu greifen, ist Ziel des zweiten Prinzips. Und wenn wir ehrlich sind: So richtig gut schmeckt es oft ja auch erst, wenn wir wirklich Hunger haben.
Tipps zum Weiterlesen
Noch mehr Infos zum intuitiven essen, Übungen und Denkanstöße gibt es in Intuitiv abnehmen. Zurück zu natürlichem Essverhalten (Goldmann, 9,99 €) und dem Intuitive Eating Workbook. 10 Principles for Nourishing a Healthy Relationship with Food (New Harbinger Publications Inc., 19,95 €) – beide von den Begründerinnen des Prinzips, Elyse Resch und Evelyn Tribole.
Bitte beachten: Der im Deutschen gewählte Titel Intuitiv abnehmen ist irreführend und wird dem Konzept nicht gerecht. Die Autorinnen haben sich davon öffentlich distanziert.
Das Original heißt schlicht Intuitive eating (dt. Intuitiv essen). Hier ist der Goldmann-Verlag offenbar der Versuchung erlegen, mit der Abnehmbehauptung im Titel die Verkaufszahlen zu erhöhen. Schade!
Erschienen in der SHAPE, 2022
Interessiert dich das Thema Intuitive Ernährung? Lies gleich weiter:
Teil 3/4 der Serie zum Intuitiven Essen
Teil 4/4 der Serie zum Intuitiven Essen
Teil 1/4 der Serie zum Intuitiven Essen
Vielleicht willst du aber auch nachschauen, was die Begründerinnen des Konzepts selbst dazu sagen:
http://www.intuitiveeating.org/