
Artikel-Serie: Intuitiv essen 3/4. Wie wir wieder auf unseren Körper hören
In dieser Artikel-Serie erkläre ich, wie Intuitiv Essen dabei helfen kann, ein natürliches Verhältnis zum Essen zu entwickeln. Bis jetzt haben wir in den ersten beiden Prinzipien zwanghaftes Diätdenken hinterfragt und Hungersignale besser wahrnehmen gelernt. Wie wir Frieden mit dem Essen schließen, auf unsere Sättigung und unser Genussbedürfnis hören und negativen Gedankenmustern den Garaus machen, das verraten die nächsten vier Prinzipien.
Prinzip Nr. 3 – „Schließen Sie Frieden mit dem Essen“
Wir meiden sie, weil wir denken, dass sie unserer Gesundheit schaden oder wir von ihnen zunehmen. Aber wenn wir dann doch einmal schwach werden, verlieren wir oft völlig die Kontrolle und können nicht mehr aufhören.
Entgegenwirken können wir, indem wir diese „Angst-Lebensmittel“ in unseren alltäglichen Speiseplan einbauen. Das Ziel des intuitiven Essens ist der schuldgefühlfreie, bewusste Genuss aller Nahrungsmittel, die wir mögen.
Wenn wir sie uns bedingungslos erlauben, verlieren sie nämlich ihre Macht. Und auf einmal ist es möglich, nur ein paar Kekse zu essen statt der ganzen Packung.
Übung: Frieden mit dem Essen schließen
- Nehmen wir uns einmal Papier und Stift und fertigen eine Liste all der Lebensmittel, Getränke und Gerichte an, denen wir normalerweise aus dem Weg gehen.
- Anschließend probieren wir immer einmal wieder eins der notierten Lebensmittel. Dabei achten wir ganz bewusst auf den Geschmack.
- Zum Schluss notieren wir, ob das Essen unseren Erwartungen entsprach oder gar nicht so fantastisch war, wie wir die ganze Zeit angenommen haben.
Prinzip Nr. 4 – „Sagen Sie der Essenspolizei den Kampf an“
Wenn wir Frieden mit dem Essen schließen wollen, müssen wir das Forbidden-Fruit-Syndrome überwinden (dt. verbotene Frucht-Syndrom). Die „verbotene Frucht“? Das sind die Lebensmittel, die wir aufgrund von Diäten, Medien oder Erziehung als „schlecht“ einstufen.
Was im ersten Moment fast niedlich klingt – die Essenspolizei – meint in Wirklichkeit einen Quälgeist, der die meisten Menschen täglich begleitet. Es sind unsere inneren Gedanken und Einstellungen zu bestimmten Lebensmitteln oder Verhaltensweisen.
„Abends darfst du keine Kohlenhydrate essen“, argumentiert die Essenspolizei zum Beispiel. Oder: „Du hast es heute nicht zum Training geschafft, lass lieber eine Mahlzeit weg.“ Und: „Iss nichts, das Fett enthält.“
Nachdem wir mithilfe des ersten Prinzips („Legen Sie die Diätmentalität ab“) verstanden haben, dass Diäten mehr schaden als nutzen, müssen wir nun lernen, den dazugehörigen manipulativen Stimmen freundlich das Maul zu stopfen.
Wie das geht?
Indem wir sie ersetzen – durch liebevolle, konstruktive Stimmen. Wenn die Essenspolizei krakeelt, dass wir gerade eins ihrer Gesetze brechen (z. B. nachts zu essen), könnten wir an ihre Stelle die Stimme eines sanften Beobachters setzen.
Der würde vielleicht sagen: „Es ist in Ordung, spätabends noch etwas zu essen. Ich habe heute den ganzen Tag gearbeitet und nichts wirklich Nahrhaftes zu mir genommen. Gut, dass ich mit mir in Kontakt bin und merke, dass mein Körper jetzt noch etwas braucht.“
Wichtig ist: Alles, was wir auf der Reise zum intuitiven Essen erleben, kann uns etwas lehren. Aber dazu müssen wir unsere selbstkritischen Beurteilungen wohlwollender formulieren.
Prinzip Nr. 5 – „Spüren Sie Ihre Sättigung“
Nachdem wir im zweiten Prinzip („Honorieren Sie Ihren Hunger“) lernen durften, bei körperlichem Hunger zeitnah zu essen, geht es im fünften Prinzip um eine weitere fundamentale Säule der intuitiven Ernährung.
Intuitiv Essen ist nämlich, entgegen mancher Kritik, kein Freifahrtschein, ab sofort „alles, und zwar in rauen Mengen“ zu verschlingen.
Hunger, Genuss, Sättigung – Intuitiv Essen und seine drei Pfeiler
Oft essen wir weiter, obwohl unser Körper schon satt ist. Das liegt mal daran, dass wir seine Signale überhört haben, und mal daran, dass das Essen einfach zu lecker ist. Manchmal wollen wir uns mit dem Weiteressen auch vor einer unangenehmen Aufgabe drücken – oder sogar Gefühle bekämpfen (an alle, die in Lockdown oder Quarantäne häufiger als sonst zum Kühlschrank getigert sind: Ja, auch Langeweile ist ein Gefühl).
Wenn es uns schwerfällt, die Mahlzeit im richtigen Moment zu beenden (und das ist seltener, als man denkt, dann, wenn der Teller leer ist), vertrauen wir oft noch nicht drauf, beim nächsten Hunger wieder etwas zu essen zu bekommen.
Dann heißt es: Weiter am zweiten Prinzip arbeiten, um unserem Unterbewusstsein diese Sorge zu nehmen. Denn das Ziel ist es, dann mit dem Essen aufzuhören, wenn der Körper Zufriedenheit und angenehme Sättigung meldet.

Übung: Angenehme Sättigung erkennen
Eine Möglichkeit, besser in Kontakt mit den Sättigungssignalen zu kommen, ist, in der Mitte der Mahlzeit eine Pause einzulegen. Nun können wir bewerten, wie satt wir schon sind. Wollen wir weiteressen? Oder reicht es schon?
Dafür ist es hilfreich, langsam zu essen und gut zu kauen. Denn bis der Körper merkt, dass wir etwas zu uns genommen haben, und Bescheid gibt, dass es reicht, dauert es ca. 20 Minuten.
Prinzip Nr. 6 – „Entdecken Sie den Genussfaktor“
Viele Menschen, die sich dafür entscheiden, intuitive Esser zu werden, befürchten, dass sie die Kontrolle verlieren, wenn sie sich erlauben, wirklich jedes Lebensmittel zu genießen. Dabei schließen sich Genuss und Kontrollverlust in Wirklichkeit aus.
Die größte Zufriedenheit beim Essen erreichen wir, wenn wir bei Beginn der Mahlzeit ausreichend, aber nicht zu hungrig sind. Und wenn wir aufhören, bevor wir Hose und BH ausziehen und nur noch in die stabile Seitenlage wollen.
Bewusstheit ist der Schlüssel
Zufriedenheit und Genuss stellen das Zentrum beim intuitiven Essen dar. Und auch, wenn wir sie uns über einen längeren Zeitraum verboten haben, können wir sie wiederentdecken. Aber wie?
Den Begründerinnen Resch und Tribole zufolge sollten wir uns so oft wie möglich Zeit nehmen, darüber nachzudenken, was wir wirklich gerade am allerliebsten essen würden. Spoiler: Das ist meist genau das, was unser Körper nährstofftechnisch gerade braucht.
Und wenn wir Lust auf Süßes haben und dann bewusst etwas Süßes essen, sind wir viel zufriedener, als wenn wir stattdessen einen gesunden Ersatz heruntergewürgt haben.
Außerdem ist es wichtig, während des Essens alle Sinne einzuschalten. Was sagen sie zu Geruch, Aussehen, Geschmack und Konsistenz des Essens? Manchmal spielen auch Temperatur und Volumen eine Rolle. Um das wahrzunehmen, ist es sinnvoll, in einer ansprechenden Umgebung mit ausreichend Ruhe zu essen.
Genuss braucht Raum
Alles, was nur mittelmäßigen Genuss bereitet, dürfen wir also guten Gewissens stehen lassen. Ganz nach dem Motto: „Wenn ich es nicht mag, dann esse ich es nicht. Aber wenn ich es liebe – dann genieße ich es. Voll und ganz.“
Erschienen in der SHAPE, 2022
Interessiert dich das Thema Intuitive Ernährung? Lies gleich auch meine anderen Texte dazu:
Teil 4/4 der Serie zum Intuitiven Essen
Teil 1/4 der Serie zum Intuitiven Essen
Teil 2/4 der Serie zum Intuitiven Essen
Vielleicht willst du aber auch nachschauen, was die Begründerinnen des Konzepts selbst dazu sagen:
http://www.intuitiveeating.org/

